Interview

»Wenn Sie sich so fühlen, dann ist das richtig«

Seit Juli 2019 bin ich die Ombudsfrau für sexualisierte Gewalt und sexuelle Belästigung für Mitarbeitende der Fürst Donnersmarck-Stiftung. In diesem Kontext wurde nachfolgendes Interview geführt, um nähere Informationen zu diesem Angebot der Stiftung für ihre Mitarbeitenden zu geben, und auf der Website der Fürst Donnersmarck-Stiftung veröffentlicht.

Während sexuelle Belästigung medial immer mehr Aufmerksamkeit bekommt, gibt es doch viele Bereiche davon, über die wir zu wenig Bescheid wissen. Oder wussten Sie, dass eine Hand auf der Schulter am Arbeitsplatz eine Form der Machtdemonstration sein kann? Arbeitsrechtlich gesehen sind wir vor sexualisierten Übergriffen geschützt. Warum das so wichtig ist und welche Position sie als Ombudsfrau der Fürst Donnersmarck-Stiftung innehält, hat uns Annemarie Kühnen-Hurlin im Interview erzählt.

Liebe Frau Kühnen-Hurlin, ich bin erst einmal über das Wort „Ombud“ gestolpert – Was bedeutet eigentlich Ombud und was ist die Ombudsfrau?

Annemarie Kühnen-Hurlin: Die Ombudsperson ist eine Vertrauensperson. Ombud bedeutet unparteiische Vermittlung: als Ombudsperson bin ich neutral. Meine Aufgabe ist die Beratung bei sexualisierter Belästigung und Gewalt. Ich arbeite für die Fürst Donnersmarck-Stiftung nicht angestellt, sondern freiberuflich. Dadurch habe ich eine gute Distanz und Unabhängigkeit – gleichzeitig kenne ich aber auch die Stiftung gut, da ich hier vor meiner Selbstständigkeit lange Zeit angestellt war.

Was beinhaltet Ihre Arbeit in der Ombudsstelle?

Annemarie Kühnen-Hurlin: Ich sehe den Schwerpunkt in meiner Arbeit darin, Klärung in Situationen zu bringen, die anfangs nicht eindeutig erscheinen. Eine Person erlebt beispielsweise etwas, das unangenehm, aber nicht so offensichtlich ist: Jemand greift ihr beim Reden immer auf die Schulter. Das kann vorsorglich und nett gemeint sein, sich bei ihr aber sehr unangenehm anfühlen. Jeder Übergriff löst Ohnmacht aus. Das kann schon bei einem unangenehmen Blick anfangen. Unter sexualisierte Gewalt fallen sexuelle Belästigung, sexuelle Nötigung und Vergewaltigung. Körperliche Übergriffe sind recht eindeutig und werden strafrechtlich verfolgt. Aber die „kleinen“ und „harmlosen“ Erlebnisse sind für viele Betroffene sehr uneindeutig. Sexuelle Belästigung ist in unserer Gesellschaft immer noch normalisiert. Deswegen fühlt es sich für viele konformer an, ein Erlebnis hinzunehmen

Was ist sexualisierte Gewalt, was ist sexuelle Belästigung?

Annemarie Kühnen-Hurlin: Sexualisierte Belästigung liegt vor, wenn die Würde des anderen durch eine sexuelle Handlung verletzt wird. Diese Grundlage zur Definition sexualisierter Belästigung und Gewalt wird individuell erlebt.

Jede Person hat ein eigenes Gefühl, wann eine persönliche Grenze überschritten ist. Deswegen ist jeder Vorfall einzeln zu behandeln. Eine Person kann einen Witz lustig finden und eine andere nicht. Wenn sich eine Person nach außen wehrt und klarstellt „Das finde ich nicht in Ordnung“, ist es ganz wichtig, dass auch unter Kolleginnen und Kollegen keine Schuldumkehrung oder Verharmlosung geschieht: „weil Du so empfindlich bist, haben wir jetzt ein Problem“. Jede Beschwerde zum Thema sexualisierte Gewalt muss am Arbeitsplatz ernst genommen werden.

Mit meiner Arbeit möchte ich gerne zu einer Atmosphäre beitragen, in der man sich schneller zutraut, auch vermeintlich harmlosen Situationen nachzugehen. Denn wenn wir das Tabu der sexualisierten Gewalt brechen, geschehen weniger Vorfälle. Gerade, wenn man sich unsicher ist, kann man jederzeit zu mir kommen und wir sortieren das Erlebte. Wenn die betroffene Person sich belästigt fühlt, dann ist ihr Gefühl grundsätzlich richtig und dann schauen wir gemeinsam, was wir machen können. Ich unterstütze dabei, aus der Ohnmacht heraus und in die Handlungsfähigkeit hineinzukommen.

Welche rechtliche Grundlage schützt betroffene Personen?

Annemarie Kühnen-Hurlin: Am Arbeitsplatz muss keine Person sexuell unangenehme Erfahrungen erdulden – auch wenn es eine noch so kleine unangenehme Erfahrung ist.

Jegliche Form der sexualisierten Gewalt ist in Deutschland am Arbeitsplatz verboten. Das ist im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verankert. Denn der Arbeitsplatz muss für alle Personen ein sicherer Ort sein. Es gibt also eine ganz klare Regelung, mit der sich Betroffene auf sachlicher Ebene wehren können. Das gilt auch bei Dienstreisen, Arbeitswegen, Betriebsfeiern, Ausflügen und Pausen. Das AGG ist ein wichtiger Schutz, den alle Mitarbeitenden kennen sollten.

Machtspiele, Handlungsoptionen und Grenzen setzen

Was steckt hinter sexualisierter Gewalt?

Annemarie Kühnen-Hurlin: Bei sexualisierter Gewalt geht es nicht um aufrichtige Kontaktaufnahme und Sexualität, sondern um Macht und Ohnmacht. Folglich liegt z.B. bei sexueller Belästigung am Arbeitsplatz oft eine Machtdemonstration vor. Beispielsweise gibt es unterschiedliche Arten, mit Konkurrenzsituationen umzugehen. Eine unangenehme Strategie kann es sein, das Gegenüber in die Ohnmacht zu bringen, indem man sexuell konnotierte Verhaltensweisen an den Tag legt. Das kann ein Kompliment über das gute Aussehen sein oder ein Kosename, wenn das die betroffene Person in einer wichtigen Situation verunsichert. Solche Prozesse laufen oft unbewusst ab. Deswegen ist es so gut, darüber zu sprechen. Man muss nicht immer von Opfern und Tätern sprechen. Aber die Verletzung der Würde muss ernst genommen werden.

„Darf ich denn nichts Nettes mehr sagen?“

Annemarie Kühnen-Hurlin: Natürlich darf man Komplimente machen! Das, was dahintersteckt, ist entscheidend. Ein nettes Kompliment ist doch herrlich, auch Flirten ist schön. Entscheidend ist: Ist es beidseitig okay und schön? Wenn ich signalisiert bekomme, dass dem anderen das unangenehm ist, dann darf ich nicht weitermachen, sondern muss es sofort stoppen. Der Maßstab ist die Person, die sich unwohl fühlt.

Wie gehe ich bei erlebter oder beobachteter Grenzüberschreitung vor?

Annemarie Kühnen-Hurlin: Das Vorgehen ist Ihnen überlassen. Sie können Kolleginnen und Kollegen ansprechen oder Vorgesetzte, wenn Sie ein gutes Verhältnis zu ihnen haben. Oder Sie kontaktieren eine Beratungsstelle. Für die Klientinnen und Klienten der Stiftung gibt es als Beratungsstelle die MUT-Stelle. Die Mitarbeitenden der Fürst Donnersmarck-Stiftung können auf mich als Ombudsfrau zukommen. Während der Pandemie kann ich unter Einhaltung der Auflagen Einzelsupervisionen in meiner Praxis anbieten – mit Masken, Lüften und negativen Schnelltests. Ganz klar ist: Es herrscht absolute Vertraulichkeit und Anonymität. Alle Schritte werden mit der betroffenen Person gemeinsam festgelegt.

Liebe Frau Kühnen-Hurlin, vielen Dank für das Gespräch.